Im ersten Beitrag habe ich ja vielleicht bereits durchklingen lassen, welche große persönliche Bedeutung das Reisen – aber auch Madeira selbst – für mich innehat. Aber unabhängig von diesem, nun, Befreiungsschlag an sich und für mich: Flugangst überwinden, sich dadurch die Welt eröffnen, und dann ankommen in einer Welt, in der man sich gleichzeitig fremd und doch mehr Zuhause fühlt als irgendwo anders – Madeira an sich und für sich wird das noch lange nicht gerecht.
Das war bereits das Gefühl bei meiner ersten Reise dorthin, in der ich nur einen kleinen Ausschnitt erhielt bezüglich der ganzen Schönheit, die sich dort offenbart, während ich bei meinem zweiten, deutlich längeren Aufenthalt immer wieder den Eindruck gewann, dass mir die Zeit regelrecht wie Sand unter den Fingern davon rinnt, wo ich noch so viel sehen, sehen, sehen und entdecken möchte, wenn ein jeder Quadratzentimeter es buchstäblich wert ist und nur darauf wartet, wahrgenommen zu werden, mit allen Sinnen, die man so hat.
Bei meinem ersten Aufenthalt war der StartingPoint diverser Unternehmungen vorwiegend Funchal, und das ist mit Gewissheit nicht der Schlechteste. Die Hauptstadt Madeiras hat nämlich so Einiges zu bieten: Eine hübsche Promenade, interessante Bauten, Gärten und etliche Parks, lebendige Märkte, Whale Watching (unbedingt mitnehmen!) und – so viele spektakuläre Ausblicke, dass einem die Worte fehlen – oder man in Gefahr läuft, sich endlos zu wiederholen: atemberaubend, überwältigend, wunderschön.
Monte Palace Garden Funchal
Dieser Ort wird für immer zu meinen absoluten Lieblingsorten zählen. Monte ist in gewisser Weise kein Stadtteil von Funchal, wobei der Übergang zwischen Funchal und Monte für Nichteinheimische schwer zu differenzieren sein dürfte. Zweimal war ich bisher im Monte Palace Garden. Beim ersten Mal (Januar 2019) nahm ich die Seilbahn (Funchals berühmte Cable Car), hatte aber einfach zu sehr mit (fehlender) Schwindelfreiheit zu kämpfen, sodass ich beim zweiten Mal (Februar 2020) auf eine weitere Mutprobe verzichtete und schnöde den Bus nahm (war allerdings auch aufgrund des Gefälles und der engen Strassen eine gewisse, nun, Herausforderung für die Ängstlichen bedeutet).
Der Monte Palace Garden holte mich bereits beim ersten Mal ab mit seiner Urwaldvegetation (bis dahin hatte ich noch nicht den „richtigen“ Urwald Madeiras gesehen; siehe Beitrag zur Wanderung zum Grünen Kessel), dem Museum für afrikanische Kunst und dem Aussichtspunkt auf Funchal, Funchals Bucht und den Hafen. Beim zweiten Mal nahm ich mir trotz schlechten Wetterbedingungen (strömendem Regen) noch mehr Zeit und wandte mich vorwiegend Details zu.
Und nun möchte ich auch einfach Bilder, statt Worte, für sich sprechen lassen.
Ausblick auf Funchal, Januar, 2019.
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Monte Palace Garden. Eines meiner Lieblingsbilder: Januar, 2019.
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Monte Palace Garden.
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Afrikanisches Kunstmuseum.
Diese bezaubernd süße Statue fotografierte ich bei meinem zweiten Aufenthalt (Februar, 2020).
2018 war eines der schlimmsten Jahre meines Lebens. Ich steckte knietief in einer handfesten Lebenskrise – nicht die erste in meinem Leben, aber die erste, in der meine üblichen Bewältigungsstrategien völlig versagten – sodass ich regelrecht dazu gezwungen war, von diesen abzuweichen und mal etwas anderes, ganz Neues auszuprobieren.
Seit meiner Kindheit litt ich an extremer Flugangst. Im Alter von 12 Jahren befand ich mich mit meiner Oma auf dem Rückflug von Tunesien. Das Flugzeug erreichte seine Flughöhe nicht – ein Maschinenschaden war der Anlass, wie uns der Pilot damals mitteilte. Mit 12 Jahren steckt man einen solchen Vorfall zunächst in der akuten Situation selbst ganz gut weg; dennoch blieben die Erinnerungen daran echt sehr plastisch: Dass wir acht Stunden insgesamt für den Rückflug benötigten, zwischenzeitlich in München landen mussten, um aufzutanken; dass wir über den Alpen in extreme Turbulenzen gerieten, echt eine unangenehme Angelegenheit, so insgesamt.
Ein altes Reitersprichwort besagt, wenn du vom Pferd fällst (und du nicht ernsthaft verletzt bist), steig sofort wieder auf. Leider hatte ich in den kommenden Jahren keinerlei Gelegenheiten mehr für eine Flugreise, sodass die Erinnerungen an diesen Flug zusehends angstbesetzter wurden und mir im Laufe der Jahre alleine beim Gedanken an eine Flugreise bereits der kalte Panikschweiß ausbrach.
2018, also: Ich hatte schon immer eine Sehnsucht danach, zu reisen, die Welt zu erkunden, und war zusehends unzufrieden mit dem ständigen Angewiesensein auf Transportmittel wie Auto, Zug, oder gar Bus. Insofern gesellte sich zu der Notwendigkeit, in dieser Lebenskrise mal etwas Neues auszuprobieren, auch eine gewisse Gleichgültigkeit meiner Flugangst gegenüber dazu. Nach dem Motto: Hast eh nix zu verlieren, höchstens zu gewinnen (ich steh auf Fatalismus. Kann unter Umständen Leben retten).
November 2018 buchte ich also unter diesem Eindruck von Fatalismus („was soll’s, dann stürzt das Ding halt ab!“) und dem Gefühl, meinem Leben einen grundlegend anderen Input verpassen zu müssen, weil es so einfach nicht mehr weiterging (arbeiten, funktionieren, abends heulen, morgens heulen, arbeiten, funktionieren, heulen) einen Flug nach Madeira für Januar 2019. Und damit habe ich mir das Tor zur Welt eröffnet – und ja, Trommelwirbel, dramatischer geht es wohl kaum – auch zu mir selbst.
Flug CGN (Köln-Bonn) – FNC (Funchal Airport), Januar 2019
Völlig tiefenentspannt und erstaunlich unängstlich (Fatalismus!) saß ich am Flughafen CGN und freute mich sogar auf den bevorstehenden Flug an sich, ohne gedanklich bereits am Ziel zu sein. Madeira hatte ich nur deswegen ausgewählt, weil allerorts als „Blumeninsel im Atlantik“ angepriesen (und ich mag Blumen), annehmbare Temperaturen im Winter, und verhältnismäßig günstig (im Vergleich zu z.B. den Kanaren) – von der Insel selbst hatte ich bis dato keinen blassen Schimmer (shame on me. Oder auch nicht, denn da ich nicht wirklich wusste, was mich erwartet, war das Erlebnis an sich umso überwältigender. Dazu irgendwann mal mehr).
Noch immer frohgemut betrat ich das Flugzeug. Als sich die Tür schloss, bekam ich ein leichtes, aber immer noch marginales und somit zu verkraftendes Beengungsgefühl. Wohlweislich hatte ich mir einen Sitzplatz am Gang ausgesucht und nicht am Fenster, um mich nicht sofort zusätzlich mit Höhenangst zu überfordern. Der Flug damals war kaum gebucht und dementsprechend beinah menschenleer, was diesen kurzen Anflug von Klaustrophobie sofort wieder relativierte. Auf der Rollbahn steckte ich mir sodann meine vorbereitete Playlist ins Ohr und hatte für ein paar Sekunden ein richtiges Glücksgefühl. Ich steh nämlich total auf Geschwindigkeit. Ab dafür, und yeah!
Dann jedoch zog der Flieger nach oben und mir wurde von jetzt auf gleich schwindlig und ich hatte das Gefühl, komplett die Orientierung zu verlieren, ich wusste nicht mehr, wo unten, oben, links und rechts ist. Und zack, war die Panik da und zwar mit voller Wucht. Also ganz bewusst atmen, atmen, atmen, aber auch das half nicht wirklich, stattdessen krampfte ich mich immer wieder im Sitz fest und hechelte panisch vor mich hin, statt bewusst zu atmen.
Fast viereinhalb Stunden durchlebte ich angstmäßig die Hölle auf Erden; in meinem Kopf rasten nur noch Gedanken wie „gleich explodiert das Gefährt, du kannst hier nicht raus“, oder „es stürzt ab“, bei jeder simplen Pilotendurchsage schloss ich innerlich bereits mit meinem Leben ab. Fatalismus, adios! Das Leben hatte mich wieder! Trotz der ganzen Angst verspürte ich in diesen viereinhalb Stunden mal das genaue Gegenteil von Todessehnsucht – ist ja auch eine Erfahrung.
Der Flughafen von Funchal gehört angeblich (immer noch? Man benötigt jedenfalls aufgrund der Fallwinde eine spezielle Lizenz) zu den Top Ten der gefährlichsten Flughäfen auf der ganzen Welt. Nur gut, dass ich vorher davon nichts wusste. Davon abgesehen war ich beim Landeanflug, der tatsächlich extrem spektakulär ist, mit einem Mal wieder tiefentspannt. Hauptsache, runter mit dieser Todesmaschine und raus aus dieser.
Ankunft in FNC (Funchal Airport), Januar 2019
Der Landeanflug gestaltete sich so: Das erste Mal auf diesem Horrorflug, dass ich mich wagte, aus einem der Fenster zu schauen. Vor einem im Atlantik erscheint eine Wolkenfront, welche Madeira umhüllte an diesem Tag (und bei meinem zweiten Anflug ebenso). Das Flugzeug geht weiter runter und durchbricht die Wolkenfront; dann tauchen vor einem grünbewachsene Berge auf und unter einem die Desertas auf. Das Flugzeug sinkt weiter und geht parallel in eine verhältnismäßig (im Vergleich zu anderen Anflügen) steile Kurve. Jetzt überfliegt man nunmehr und sozusagen handgreifbar zahlreiche schmucke Häuschen mit den madeiratypischen, orangefarbigen Dächern; dann ist man auf der Rollbahn und es wird mehrfach ruckartig und sehr zackig abgebremst, weil das Rollfeld selbst trotz einem Anbau nicht sonderlich lang ist. Und dann steigt man aus und ist in einer völlig anderen Welt.
Die Temperaturen sind lau und frühlingshaft warm, wenn man geradewegs aus dem deutschen Winter kommt, beinah schon: heiß. Es riecht nach Blüten und Meer, die Luft ist überall auf der Insel (außer auf den Gipfeln) regelrecht gesättigt von dem Duft.
Innerhalb kürzester Zeit bin ich wie erschlagen von der (für mich) Fremdartigkeit und Exotik. Ich staune nur noch, bin überwältigt, kann es nicht fassen, so surreal ist das alles für mich; ab dem ersten Schritt, den ich auf diese Insel setze, befinde ich mich in einem Traum, aus dem ich nicht mehr erwachen möchte, in einem Märchen!
Zum ersten Mal werde ich diesmal hier eine Woche verbringen, zum ersten, aber nicht letzten Mal im Quinta Splendida in Canico, einem Hotel inmitten eines botanischen Gartens mit einer traumhaften Aussicht auf den Atlantik. Ich möchte weinen vor Freude und Dankbarkeit und tue es auch. Und auch das nicht zum ersten und letzten Mal auf dieser Reise, oder, auf allen Reisen.
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cof
Quinta Splendida
Was Reisen für mich bedeutet – Teil 2
Ankommen. Ankommen an einem fremden Ort, wo ich ich selbst bin, weil ich selbst ein Fremdling bin, weil ich (zumindest an deutschen Maßstäben gemessen) schlichtweg anders bin, schon immer. Ankommen und von einem Moment zum nächsten den Wunsch in mir spüren, die Welt und das Leben in Gänze zu umarmen.
Freiheit. Aber auch dazu irgendwann mehr, weil Freiheit so ein dermaßen umfassender Begriff und ja, auch ein konkretes Erlebnis ist, dass eine Erklärung in diesen Beitrag nicht mehr passt. Freiheit ist assoziiert mit Erfahrungen und Unternehmungen, die ich nicht nur auf meiner ersten Reise nach Madeira mitnahm, sondern beispielsweise auch auf Mallorca (ohne Witz jetzt), Rhodos… Fuerteventura, etc..
Eine existenzielle Angelegenheit und Notwendigkeit. Reisen bzw. die Sehnsucht, wieder verreisen zu können, ist für mich ganz persönlich kein Luxusgezimper, ich stabilisiere mich dadurch, kann damit Krisen besser bewältigen und auch im Alltag zurechtkommen, zumal ich zudem weiß, was Verzicht, Einschränkungen, sowohl innerliche, als auch äußerliche, und demnach Armut bedeuten (Armut: Man hat nur noch ein paar Euro in der Tasche und muss echt grübeln, wie man sein Kind und sich überhaupt satt kriegt. Wie man Rechnungen bzw. die Miete bezahlen kann. Wie man bei jedem Einkauf rechnet und nachts vor Existenzangst kaum schlafen kann. Oder: Wie man angewiesen ist auf Erwachsene, weil man selbst minderjährig ist, und die Erwachsenen ihr Geld lieber versaufen, statt in Lebensmittel zu stecken, und wie man deswegen Hunger hat. Ja, Hunger. Das gibt’s auch in Deutschland und das ist leider auch etwas, dass ich persönlich erfahren habe).
Aktuelle Lage
Derzeit sind für Reisende und Reisewillige wegen der ganzen Coronageschichte düstere Zeiten angebrochen. Nicht jeder, der sich darüber „beschwert“, gerade nicht verreisen zu können, hat ausschließlich ein Luxusproblemchen, was ich mit diesem Beitrag unter anderem aufzeigen möchte. Da steckt oft sehr viel mehr dahinter. Und so geht es nicht nur mir!
Meine Gedanken sind des Weiteren tagtäglich bei den vielen lieben Menschen, die ich unterwegs auf meinen Reisen traf, und die durch die Coronakrise noch viel, viel mehr betroffen sind, als ich es bin. Weswegen ich mit diesem Blog jetzt auch einen gewissen Support liefern möchte. Diese Menschen arbeiten sehr hart, damit andere eine schöne, unvergessliche Zeit haben. Wenn das alles vorbei ist, sind sie auf diejenigen, die es sich leisten können – und ich schäme mich echt nicht mehr, dazuzugehören, denn ich habe mir alles in meinem Leben hart erarbeiten und erkämpfen müssen und bekam nie irgendwas „geschenkt“ – angewiesen. Deswegen supporte ich an dieser Stelle zunächst erst einmal das Quinta Splendida in Canico auf Madeira. Zwei wundervolle Aufenthalte rechtfertigen diese Empfehlung absolut, auch wenn andere es sicher mindestens genauso verdienen – ich kann mich nicht mehrteilen.
Ich habe für mich zudem beschlossen, die Sehnsucht nicht aufzugeben, sondern andere an meiner Reisefreude, meiner Neugier, meiner Offenheit bezüglich neuer Erfahrungen teilhaben zu lassen in Form eines virtuellen Travelbooks. Das werde ich ausführlich schriftlich hier tun, wie auch mit noch mehr Bildern hinterlegt auf meinem Instagramprofil unter https://www.instagram.com/perseichi/
Und ich hoffe einfach damit, ein kleines Licht zu entzünden in der ganzen momentanen Situation und andere an diesem Leuchten teilhaben zu lassen.